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Traumberuf Trader

Ein Traum verbindet die meisten Trader – vom Handel leben zu können. Mit ein paar Mausklicks pro Tag genügend Geld zu verdienen, um davon seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Und vor allem jede Menge Zeit zu haben, um tatsächlich zu leben. Auf Facebook findet man auch jede Menge Fotos von Tradern, die das anscheinend praktizieren. Im Hintergrund noch der Tradingbildschirm, im Vordergrund der entspannte und glückliche Händler, genussvoll eine Zigarre rauchend. Er hat wieder einmal den richtigen Riecher gehabt und sein Tradingkonto um 2% am heutigen Tag in die Höhe geschraubt. Das gelingt ihm fast jeden Tag und so kommt er locker auf dreistellige Renditen pro Jahr. Obwohl er sich natürlich inzwischen einen Lebensstil angewöhnt hat, der nicht ganz billig ist, reicht bei seiner Rendite ein fünfstelliges Konto, um damit die notwendigen Mittel zu erwirtschaften.

Zugegeben, obige Darstellung ist vielleicht etwas überspitzt. Aber ich möchte damit verdeutlichen, um was es hier geht, nämlich um eine realistische Abschätzung der möglichen Rendite und daraus abzuleiten, wie hoch denn mein Tradingkonto wirklich sein muss, damit ich davon leben kann. Fangen wir einmal mit der Rendite an:

Welche jährliche Rendite soll ich meiner Kalkulation zugrunde legen? Falsch wäre es sicher, einfach nach einem besonders guten Monat den erreichten Wertzuwachs hochzurechnen. Wer schon über eine lange Tradinghistorie verfügt, kann natürlich in die Vergangenheit schauen und einen Durchschnitt berechnen. Wichtig dabei ist, dass die betrachtete Periode nach Möglichkeit verschiedenste Marktphasen umfasst, also sowohl Bärenmärkte wie auch Bullenmärkte oder Phasen mit größeren Seitwärtsbewegungen, hohe und niedrigere Volatilitäten usw. Denn jede Tradingsstrategien hat ein „Lieblingsumfeld“, in der sie besonders gut performt. Wann das jedoch wieder auftritt, wissen wir nicht. Aussagekräftig ist die in der Vergangenheit erreichte Rendite natürlich auch nur, wenn der Trader noch ebenso handelt wie vor fünf Jahren. Das muss nicht bedeuten, dass man unbedingt die exakt gleichen Tradingsstrategien handelt, aber der Stil sollte schon vergleichbar sein. Wer vor ein paar Jahren als Daytrader unterwegs war und jetzt Stillhaltergeschäfte macht, vergleicht sicherlich Äpfel mit Birnen, wenn er die Ergebnisse von damals mit den heutigen vergleicht. Hinzu kommt, dass wir uns ja hoffentlich alle weiterentwickeln und selbst, wenn der Tradingstil unverändert ist, sind wir im Laufe der Zeit vermutlich besser geworden und machen einige Fehler, die uns in der Vergangenheit unterlaufen sind, nicht mehr. Aus diesen Gründen ist die erreichte Rendite in der Vergangenheit zwar eine wichtige Orientierungsgröße, sollte aber niemals als einzige Input-Variable in meine Kalkulation einfließen.

Was kann ich sonst noch machen, um zu einer realistischen Einschätzung einer möglichen jährlichen Rendite zu kommen? Wenn mir für meine Strategien eine aussagekräftige Tradinghistorie fehlt, kann ich natürlich mittels Backtests versuchen zu ermitteln, wie meine Handelsstrategien in der Vergangenheit abgeschnitten hätten. Dabei habe ich den Vorteil, dass ich einen viel längeren Zeitraum testen kann, der ganz unterschiedliche Marktgegebenheiten repräsentiert. Hierbei muss ich natürlich auch aufpassen, dass ich nicht anfange, die Parameter meiner Handelsstrategien solange zu optimieren bis das Ergebnis für genau den Zeitraum, den ich betrachte, befriedigend ist – Stichwörter „curve fitting“ und „out-of-sampleTest“. Wenn ich auf diesem Wege eine mögliche Rendite ermittele, sollte ich noch einen Sicherheitsabschlag vornehmen, insbesondere, wenn ich Slippage und Kommissionen in meinem Backtest nicht einbezogen habe. Außerdem sind wir alle Menschen und Menschen machen Fehler. Auch den Autor kosten jedes Jahr Flüchtigkeitsfehler, z.B. die falsche Erfassung einer Order, Geld und so sehr man sich auch darüber ärgert, ganz ausmerzen kann man so etwas leider nicht.

Der dritte Ansatz ist die Zugrundelegung realistischer Renditen je nach Tradingstil. Diese Renditen leiten sich aus den Ergebnissen vergleichbarer Händler ab. Realistischer Weise sollte man auch diese entsprechend der eigenen Tradingerfahrung skalieren. Wer neu im Geschäft ist, sollte nicht erwarten, dass er von Anfang an die gleiche Rendite wie ein erfahrener Händler erwirtschaftet. Und ich sollte mich auch immer fragen, wieviele Trader, die vergleichbare Strategien wie ich handeln, damit tatsächlich erfolgreich sind. Angeblich verdienen erfolgreiche Daytrader leicht dreistellige Renditen pro Jahr. Erwiesenermaßen gibt es aber kaum erfolgreiche Daytrader. Warum sollte also ausgerechnet ich zu den wenigen erfolgreichen Daytradern gehören? Es wäre äußerst fahrlässig, solche Renditeerwartungen zugrunde zu legen, wenn man über kaum eigene Erfahrungen verfügt.

Wie sieht das jetzt im Optionshandel aus? Die Art und Weise, wie wir traden, unterscheidet sich ja ganz erheblich von vielen anderen Tradingstilen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Tradingstrategien können wir Stillhalter immer nur die vereinnahmte Prämie verdienen, haben aber ein unbegrenztes Verlustrisiko. Dennoch wissen wir, dass wir die Wahrscheinlichkeiten auf unserer Seite haben und das ja der Grund, warum die meisten von uns auch profitabel sind bei dem, was sie tun. Der zweite Unterschied zu dem, was die meisten unter Trading verstehen, ist, dass wir nicht nur direktional sondern auch nicht-direktional traden können. Unsere Butterfly-Strategien beispielsweise sind marktneutrale Trades, die in jedem Umfeld Geld verdienen können – und vor allem, die dem Trader den Luxus gestatten, keine Marktmeinung zu haben. Die Erfahrung zeigt, dass man mit solchen Strategien realistischer Weise durchschnittlich zwischen 10% und 30% pro Jahr erwirtschaften kann. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Marginauslastung ungefähr die Hälfte des Tradingkontos beträgt und natürlich, dass der Trader die Trades in regelmäßiger Frequenz aufsetzt. Wer neu dabei ist, sollte sich eher am unteren Wert (10%) orientieren und erst, wenn die eigenen Erfahrungen eine höhere Renditeerwartung zulassen, diese auch in die Planung übernehmen. Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang das Wörtchen „durchschnittlich“. Ein Durchschnitt von 20% lässt sich nicht nur durch ein Jahr mit 10% und ein Jahr mit 30% erreichen, sondern auch mit einem Jahr mit +55% und einer Performance von -15% im Folgejahr erzielen. Blöd nur, wenn das Jahr mit -15% vor dem Jahr mit +55% kommt, dann gibt es nichts, was ich entnehmen kann, um davon zu leben…

Deshalb müssen wir in unsere Kalkulation miteinbeziehen, dass es zu Drawdowns kommen kann und kommen wird. Ich brauche also einen Puffer für diese Zeiten. Die Faustregel lautet hier, dass man mindestens ein Jahr überstehen muss, in dem man nichts verdient.
Anhand eines konkreten Beispiels zeige ich Ihnen, wie ich das erforderliche Kapital ermitteln würde, wenn ich ausrechnen möchte, wie hoch mein Konto sein muss, wenn ich ausschließlich von den Tradingerträgen leben möchte. Beachten Sie, dass die zugrundegelegten Parameter nicht in „Stein gemeißelt“ sind, sondern auf den Erfahrungen des Autors beruhen und durchaus von der Realität abweichen können.

An allererster Stelle steht ein Kassensturz. Wie viel Geld brauche ich im Jahr tatsächlich zum Leben? Am besten kalkulieren Sie diesen Betrag so, dass Sie auch Platz für unvorhergesehene Ausgaben haben, vielleicht geht das Auto kaputt oder der Sohnemann will in den USA studieren… Rechnen Sie auch nicht so knapp, dass ihren Lebensstil verändern müssen. Der Urlaub sollte weiterhin drin sein und auch das Essen beim Italiener, wenn Sie das bisher auch schon gerne gemacht haben. Angenommen, dabei kommt heraus, dass Sie (und gegebenenfalls ihre Angehörigen) eine Summe von 40.000 Euro pro Jahr benötigen.

Der nächste Schritt ist, dass Sie diese Summe verdoppeln. Warum? Weil wir in einem Jahr das Geld für zwei Jahre verdienen möchten, um auch in den DrawdownPhasen, unseren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Also sind wir schon mal bei 80.000 Euro, die unser Tradingkonto pro Jahr verdienen muss.
Ach ja, Steuern auf unsere Gewinne müssen wir ja auch noch zahlen. Wenn Sie in Deutschland leben und Abgeltungssteuer bezahlen, brauchen Sie ungefähr ein Drittel mehr Erträge, um nach Steuern weiterhin 80.000 Euro zu haben. Vor Steuern müssen Sie ca. 110.000 Euro erwirtschaften (108.000 Euro abzüglich 26,4% – 27,8%, abhängig von einer evtl. Kirchensteuer), um Ihr kalkuliertes Nettoeinkommen zu haben.

Was folgt, ist die Renditeerwartung. Sagen wir, Sie kommen aufgrund Ihres Tradingstils und Ihren eigenen Erfahrungen zu dem Ergebnis, dass 20% realistisch sind.
Mit einem einfachen Dreisatz können Sie nun ausrechnen, wieviel Kapital Sie wirklich benötigen, nämlich sage und schreibe 550.000 Euro (550.000 * 20%= 110.000) . Das ist vermutlich eine Summe weit über dem, was Sie „aus dem Bauch heraus“ geschätzt hätten. Und zugegebenermaßen ist das auch eine vorsichtige Kalkulation, insbesondere wegen des Ansatzes, doppelt so viel verdienen zu wollen wie benötigt wird. Aber wenn Sie keine anderen Reserven haben, auf die Sie im Notfall zurückgreifen können, bleibt Ihnen nichts anderes übrig als im Falle eines Falles Ihr Tradingkapital „anzuknabbern“ und dann wird es natürlich besonders schwer, in Zukunft die benötigten Erträge zu erwirtschaften.
Einen Aspekt haben wir noch gar nicht betrachtet, den Sie bitte nicht vernachlässigen sollten, wenn Sie mit dem Gedanken spielen, sich als selbständiger Trader zu verdingen: der psychologische Aspekt. Unterschätzen Sie nicht die mentale Belastung, wenn das, was Sie mit dem Trading erwirtschaften, wirklich ihre einzige Einkommensquelle ist. Auch wenn ihre jahrelange Erfahrung an den Märkten Sie gelehrt hat, dass Drawdown-Phasen einfach dazu gehören, werden Sie garantiert am Anfang nachts einige schlaflose Nächte verbringen, wenn diese Phasen eintreten. Die Zweifel kommen garantiert. Was, wenn sich an diese Phase nicht wieder eine bessere Zeit anschließt? Vielleicht funktionieren meine Strategien einfach nicht mehr? Und so weiter und so fort… Der Autor hat das selbst erlebt. Ich gebe offen zu, dass ich die mentale Belastung des Hauptberufs Trader auch unterschätzt habe als ich mich entschieden habe, zukünftig nur noch vom Trading zu leben. Glücklicherweise hatte ich die volle Unterstützung meiner Frau, die mir geholfen hat, diese Momente gut zu verkraften.

Wir möchten Ihnen mit diesem Post nicht die Idee, hauptberuflich vom Trading zu leben, ausreden. Ganz im Gegenteil. Es war die beste Entscheidung meines Lebens (auf beruflicher Ebene). Aber wir möchten darauf hinweisen, was es alles zu beachten gibt, wenn Sie mit diesem Gedanken „schwanger“ gehen. Vermutlich werden Ihnen das nämlich nicht die Leute vor den Tradingbildschirmen mit der Zigarre in der Hand erzählen…

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